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15.03.2024




 

Foto: hejo@blancio.de

Herzlich willkommen in Blankenheimerdorf

Steinwürfe gegen das Lehrerhaus
von Johannes Vossen

Vor gut 170 Jahren war die Tätigkeit eines Lehrers in Blankenheimerdorf kein Zuckerschlecken. Das geht aus einem umfangreichen Fortsetzungsbeitrag im „Eifelvereinsblatt“ des Jahres 1908 (Monate Mai bis Juli) hervor. Unter der Überschrift „Aufzeichnungen eines Lehrers aus dem Kreise Schleiden, der 1811 geboren u. um 1870 gestorben ist“ wird der Leidensweg eines namentlich nicht genannten Herrn aus Schöneseifen geschildert, der von November 1837 bis Januar 1849 in Blankenheimerdorf Lehrer war. An dieser Stelle nachträglich noch ein herzliches Dankeschön an die Nettersheimer Heimatforscherin Sophie Lange für die Zusendung der Auszüge aus der erwähnten Eifelvereinsschrift.

Zu einem Streit gehören immer wenigstens zwei Kontrahenten. In den Aufzeichnungen wird der „Dörfer Schulstreit“ lediglich aus der Sicht des Lehrers geschildert und lässt damit eine gewisse Objektivität vermissen. Für den Lehrer spricht unterdessen unsere Schulchronik, aus der übrigens auch der Name des Betreffenden ersichtlich ist. Zitat von Lehrer F. Körfer vom 15.10.1874: „Der Lehrer Gentges, der im Jahr 48 hier angestellt war, soll nach der Aussage glaubwürdiger Leute ein braver und tüchtiger Lehrer gewesen sein. Dass er in der Schule Tüchtiges geleistet, geht daraus hervor, dass diejenigen, die seinen Unterricht genossen, mit den besten Schulkenntnissen versehen sind. Weil er aber einzelnen wenigen nicht genehm war, musste er die Stelle verlassen und hat man ihn so zu sagen in seiner Wohnung gesteinigt. Seit dieser Zeit schien der Fluch auf der hiesigen Schule zu ruhen.“ Lehrer Körfer kam im Juni 1869 nach Blankenheimerdorf, zu diesem Zeitpunkt hatte die hiesige Schule in den zurückliegenden 21 Jahren sage und schreibe 14 Lehrer und Aspiranten „verbraucht.“ Eine stolze Leistung.

Lehrer Gentges trat am 16. November 1837 die Lehrerstelle in Blankenheimerdorf an, gleichzeitig damit auch die Stelle des Küsters, die ihm aber „von Anfang gar nicht zusagte, besonders weil ich im Singen zu unerfahren war.“ Das Küsteramt gehörte damals zu den Pflichten eines Lehrers, es umfasste eine Vielzahl von Aufgaben. So musste der Küster-Lehrer unter anderem den Kirchengesang leiten und, wo vorhanden, die Orgel oder das Harmonium spielen. Er musste die Kirche heizen, den Klingelbeutel rundreichen, dreimal am Tag die Glocken läuten, die Kirche säubern, auf dem Kirchenweg Schnee schaufeln und Sand streuen, Kirchenregister abschreiben und bei Abwesenheit des Pastors die Sonntagspredigt vorlesen und bei Beerdigungen die Traueransprache halten.

Lehrer Gentges überließ also diesen Küsterdienst mit dem Einverständnis von Pastor Peter Hilger dem bisherigen Kirchendiener Peter Frings. Der „war wohl der reichste Mann in Blankenheimerdorf, sehr religiös und fleißig gewesen. Sein Geburtsort ist Frohngau, im Jahr 1848 ist er gestorben.“ Lehrer Gentges wohnte im Hause der Küsterfamilie Frings. Mit der Beköstigung war er zufrieden, sein Schlafzimmer dagegen, „worauf die Familie auch noch allerlei Sachen hatte, war feucht und daher ungesund. Ich musste unten im Wohnzimmer, worin noch ein Bett stand, und das außerdem als Wirtsstube benutzt wurde, studieren und schreiben.“ Gar nicht so übel: Wirtsstube mit Bett.

Dem Lehrer ein ständiger Dorn im Auge waren die drei Enkelkinder von Peter Frings, sie waren „sehr wüst und ungezogen und bekamen stets ihren Willen getan, was zwar dem Großvater nicht gefiel, aber er konnte nichts dagegen machen. Die Frau des alten Küsters war ziemlich eigensinnig und geschwätzig.“ Wir würden heute sagen, dass Frau Frings „de Botz aan hat em Huus.“ Sie stand in aller Regel ihrem Schwiegersohn und seinen drei Kindern die Partie. Eins der Kinder, Josef, erhielt in der Schule vom Lehrer eine nicht näher bezeichnete Strafe, Herr Gentges geriet „...mit dem Vater, der ein –,– Mann war, in argen Konflikt“ mit dem Ergebnis, dass Josef nach Euskirchen in die Schule gegeben wurde.

Im Hause Frings war nun offensichtlich kein Bleiben mehr, denn im Frühjahr 1842 zog Lehrer Gentges zu Johann Peter Handwerk in ein neues Quartier, bei dem „ich sehr nett behandelt wurde.“ Seine Wohnung war der, durch eine Bretterwand in zwei Zimmer aufgeteilte Tanzsaal. Weil er nun nicht mehr im Hause Frings wohnte, der alte Küster aber weiterhin den ihm überlassenen Dienst versah, beanspruchte der Lehrer die Hälfte der aus gestifteten Messen vereinnahmten Beträge. Es handelte sich um knapp vier Taler und Peter Frings war auch damit einverstanden, die Tochter und ihr Mann dagegen stiegen fast auf die Barrikaden. Es kam zu öffentlichen Beschimpfungen auf der Straße. Der Lehrer wollte Anzeige erstatten und Beleidigungsklage erheben, ließ sich aber schließlich durch eindringliches Bitten seines Kontrahenten und dessen Bruder davon abbringen. Seine Gutherzigkeit wurde ihm später schmählich gedankt.

Jetzt kam für Lehrer Gentges eine mehr oder weniger angenehme Zeit in Blankenheimerdorf. „Durch den Ankauf einer Erbschaft und sonstige Geschäfte“ kam er zu einem Haus mit mehreren Feldern und Wiesen. Durch Zukauf vergrößerte er seinen Besitz „...und konnte ich eine Kuh halten, meine nötige Frucht ziehen, ein Schwein mästen usw.“ Er hatte es also „zu etwas gebracht“ und das trug ihm offensichtlich den Neid einiger Dorfbewohner ein, was letztendlich 1848 zu seiner Versetzung nach Reuland (Burg Reuland, Ostbelgien) führte. Anlässlich seiner Versetzung verkaufte er seinen sämtlichen Besitz in Blankenheimerdorf, was er folgendermaßen etwas umständlich beschreibt: „1848 habe ich meine sämtlichen Güter, nachdem ich das benannte Haus schon im Herbst 1842 an Peter Schmitz und später noch ein anderes, das ich bei einer Subhastation erworben hatte, dem Peter Brück, der bald darauf nach Amerika gezogen ist, verkauft.“(Subhastation = Zwangsversteigerung).

Von 1838 bis 1847 gehörte Lehrer Gentges dem Kirchenvorstand an und versah das Amt des Rendanten. Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, dass die Königliche Regierung ihm „auf Anstiften“ seines Kontrahenten aus 1842 empfahl, das Rendantenamt niederzulegen. Der Schwiegersohn von Peter Frings hatte also nach Darstellung des Lehrers gegen ihn intrigiert, obwohl Gentges seinerzeit von der erwähnten Beleidigungsklage Abstand genommen hatte, - ein schlechter Dank. Nicht zuletzt war der Lehrer auch Teilhaber am Eisenstein-Grubenfeld „Siegeskrone,“ das allerdings „nicht sehr ergiebig war.“

Zu Martini 1846 übernahm der Lehrer die Küsterstelle, die er bisher Peter Frings überlassen hatte. Dadurch geriet er mit diesem und dessen Eidam wegen der Haferernte in einen nicht näher erläuterten Prozess, den das Landgericht zu seinen Ungunsten entschied. Der Prozess brachte Unruhe ins Dorf und die Gemeinde verweigerte ihm  das halbe Fass Hafer für die Regulierung der Kirchenuhr, weil diese nicht mehr intakt war. Die Wartung der Kirchenuhr war eine besonders bezahlte Aufgabe des Küsters, ähnlich dem „Glockenhafer“ als Lohn für das tägliche Läuten. Der Lehrer machte eine Eingabe an die Königliche Regierung und die entschied, dass „mir alles geliefert werden müsse, der Kirchenvorstand habe den Hafer zu heben und an mich abzuliefern.“ Das geschah aber nicht.

Inzwischen war in Frankreich die Revolution ausgebrochen, der „Empörungsgeist“ breitete sich auch in Deutschland aus, Blankenheimerdorf blieb nicht davon verschont. Gerade jetzt hatte die Regierung verfügt,  dass bei weiterer Weigerung des Kirchenvorstands gegen die Haferernte des Küsters, Zwangsmaßnahmen ergriffen würden. Lehrer Gentges: „Das war Öl ins Feuer geschüttet, indem man in Blankenheimerdorf nichts mehr von der Regierung wissen wollte. Mir sollte dies vergolten werden, weil ich mich an die Regierung gewendet habe.“

Die Sache eskalierte, es kam die „Nacht der Steinwürfe“ vom 30. auf den 31. März 1848. Lehrer Gentges schreibt: „So hatten mehrere Lümmel, zu denen auch N.N. und sein Sohn gehörten, es zu Stande gebracht, daß mir in der Nacht mit Steinen wider die Wohnung geworfen wurde, bis ein Stein eine Scheibe zerschmetterte. Eine große Menge Leute (resp. Lümmel) standen beisammen bei dem Pastorat und meiner Wohnung. Sie waren schreiend durchs Dorf vom Hause des N.N. hergekommen. Sobald jedoch eine Scheibe klirrte, entfernte sich die Menge. Des Morgens waren die Spritzenhaustür, die Tür an den Abtritten und der Schule voll mit Kreide geschrieben, das Ganze sehr unleserlich, jedenfalls aber vom N.N. herrührend, und Schikanen auf mich.“ Der Name jenes ominösen N.N. wird in der gesamten umfangreichen Geschichte nicht erwähnt.

An den beiden folgenden Tagen fiel der Unterricht aus, auf Anraten von Pastor Hilger reiste das Ehepaar Gentges zu Verwandten nach Eynatten, bis sich die erhitzten Gemüter im Dorf wieder beruhigt hätten. In einer Eingabe an die Regierung bat Gentges um seine Versetzung. In Blankenheimerdorf kochte unterdessen nach wie vor die Volksseele, der Pastor konnte mit Mühe das Eindringen der Empörer ins Lehrerhaus, das neben dem Pfarrhaus stand, und die Zerstörung der Einrichtung verhindern. Selbst Bürgermeister Laumen in Blankenheim erhielt unliebsamen Besuch aus dem Dorf  und fühlte sich recht unwohl in seiner Haut: Er war den Leuten aus Blankenheimerdorf zu „regierungstreu“ eingestellt. Am 12. April gedachte Lehrer Gentges wieder Unterricht zu halten, ließ sich aber vom besorgten Pastor und einigen Bürgern umstimmen: Es gäbe ein Unglück, wenn er tatsächlich Schule hielt, die Leute im Dorf seien über alle Maßen erbost. Abends war Bürgerversammlung in der Schule, der Lehrer wurde hinzu gerufen, man kam nach langer Debatte überein, dass er seinen Hafer bekommen und dann seine Stelle in Blankenheimerdorf aufgeben solle. Er selber musste das entsprechende Schreiben erstellen. Am 14. April zog das Lehrerehepaar in das leerstehende Elternhaus von Frau Gentges in Holzheim um.

Jetzt war Blankenheimerdorf ohne Lehrer, der Schulstreit dauerte bis zum Jahresende. Der Lehrer machte erneut eine Eingabe an die Regierung. Daraufhin wurde der Schleidener Landrat aufgefordert, Lehrer Gentges umgehend in sein Lehreramt wieder einzuführen, was aber nicht geschah. Offensichtlich konnte damals ein Landrat ungestraft eine Regierungsanordnung missachten. Auf eigenes Risiko den Unterricht einfach wieder aufzunehmen, wagte der Lehrer nicht, vielmehr bestand er auf amtliche Wiedereinführung und Personenschutz. Der Landrat beantragte die Entlassung des Lehrers, die Regierung forderte erneut die sofortige Einführung und spätere Versetzung, der Landrat erhob hiergegen Einspruch. Landrat Richard Graf von Beissel (im Amt 1829 - 1863) war offensichtlich nicht besonders „regierungstreu“ und vertrat hartnäckig seinen Standpunkt, letztendlich allerdings doch vergeblich. Der Lehrer seinerseits schlug nun seine Versetzung ohne vorherige Einführung vor, die Regierung lehnte ab mit der Begründung: „Sie werden es doch wohl nicht aufkommen lassen wollen, dass es den Bauern freistehe, ihren Lehrer nach Belieben fortzujagen.“

Damals wie heute brauchten behördliche Vorgänge für ihre Realisierung eine kleine Ewigkeit. Nach monatelangem Hin und Her wurde endlich bestimmt: Am 01. Dezember 1848 wird Lehrer Gentges durch den Bürgermeister von Blankenheim in sein Lehreramt in Blankenheimerdorf wiedereingeführt. Beim feierlichen Akt in der Schule waren der Kirchenvorstand, der Schulvorstand und der Gemeinderat anwesend. Es gab keine Einwände gegen die Einführung, wohl aber die Forderung, dass für die „unterrichtslose“ Zeit kein Gehalt gezahlt werde.

Am Abend zuvor hatte wieder eine Bürgerversammlung stattgefunden, um über einen Widerspruch gegen die Einführung des Lehrers zu beraten. Die alten Gegner hatten also immer noch keine Ruhe gegeben und waren weiterhin bestrebt, ihrem Erzfeind Gentges das Leben schwer zu machen. Es hatten sich zwei Parteien im Dorf gebildet. Darüber schreibt Lehrer Gentges: „Der bessere Teil hatte jedoch gesiegt. Beiläufig bemerkt, war aber die Anzahl der feindseligen Leute sehr wenig. Nur der N.N. mit einem kleinen Anhange, die Gebrüder X.X, alle überaus freche Leute, hatten die Bewegung hervorgerufen und unterhalten, wie sich später handgreiflich herausstellte. Der größte Teil hatte mir die verdiente Achtung bewahrt. Hätte bei den Aufläufen im März und April jemand Hand zur Zerstörung meiner Sachen angelegt, so würde ein blutiges Handgemenge vorgekommen sein.“ Leider erfährt der Leser nichts über die Identität der „frechen Leute,“ ebenso wenig wird eine spätere „handgreifliche“ Klärung erörtert.

Am 04. Dezember 1848 begann in Blankenheimerdorf nach fast einem Dreivierteljahr „Pause“ der ordentliche Schulunterricht wieder. Lehrer Gentges: „Die Jugend war sehr verwildert, jedoch bemerkte man keine absichtliche Widerspenstigkeit.“ Des Lehrers Wirken im Dorf war nicht mehr von langer Dauer, am 08. Januar 1849 erhielt er seine Versetzung nach Reuland, wo er seinen Schuldienst am 31. Januar antrat. Durch die umständliche Wiedereinführung mit anschließender Versetzung wurde erreicht, daß der Lehrer ordnungsgemäß von seinem Amt in Blankenheimerdorf abgezogen und nicht etwa durch Volksbegehren von seiner Arbeitsstelle verjagt wurde, - für alle Beteiligten vermutlich die gescheiteste Lösung des Dörfer Schul- und Haferstreites.



Auszug: Sophie Lange

Auszug aus „Eifelvereinsblatt“ Monat Mai 1908
(Auszug: Sophie Lange)


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