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i-a-Köttela (weiches ö) Kinder können ungewöhnlich grausam sein, ohne sich indessen ihrer Grausamkeit bewusst zu werden. Als Schulanfänger wurde man früher von den älteren Kindern geneckt: I-a-Köttela, kanns jo noch kejn i on a. Je mehr sich der Betroffene ärgerte, desto intensiver und ausdauernder wurde der Ruf wiederholt, bis schließlich der Geschmähte auf seine Peiniger los ging oder aber heulend nach Hause lief. Ganz besonders tat sich bei der Hänselei das zweite Schuljahr hervor, dem im Vorjahr das gleiche Übel widerfahren war, das sich jetzt aber den I-Dötzchen haushoch überlegen wähnte. I und A waren die ersten zu lernenden Buchstaben für den Neuling, ich erinnere mich noch sehr gut an unser erstes Schulbuch, die Fibel, mit dessen Hilfe uns Lehrer Josef Gottschalk das Lesen und Schreiben beibrachte. Auf dem Buchdeckel war ein Hahn zu sehen, der sein „Kikeriki“ in die Welt hinaus schmetterte. Wir lernten noch die steile und eckige Sütterlinschrift und übten als ersten Buchstaben das kleine i: Auf, ab, auf, Strichelchen drauf. Der Köttel ist bekanntlich ein kleines festes Kotbällchen und war früher eine häufige Bezeichnung für Kinder.
ibbendibbendapp Eine Wortbildung ohne jeglichen Inhalt, im Sinne des Wortes also „ein Wort ohne Sinn,“ von Bedeutung ist lediglich die letzte Silbe, weil sie sich auf „ab“ reimt. Das Wort entstammt der Kindersprache und wurde beim Üßzälle (Auszählen) gebraucht. Durch Auszählen wurde eine Zufallsentscheidung herbeigeführt, beim Sööke spelle (Suchen spielen, = Versteckspiel) wurde beispielsweise der Sucher durch Üßzälle ermittelt. Es gab eine Vielzahl von Auszählreimen, einer davon lautete: Ibbendibbendapp und du bist ab. Dabei wurde bei jeder Silbe auf eins der im Kreis stehenden Kinder gezeigt, wen die letzte Silbe traf, der war ausgewählt. Oft setzte man den Vers fort: Ab bist du noch lange nicht, sag mir erst, wie alt du bist. Der Bezeichnete nannte sein Alter, an Hand dessen wurde dann durch Abzählen der „Sieger“ ermittelt. Manchmal wurde auch solange ausgezählt, bis nur noch ein Kind „übrig“ war. Das früher bei uns Kindern beliebte umständliche, aber personbezogene Üßzälle erledigt heute – sofern überhaupt noch ausgezählt wird – der gefühllose elektronische Zufallsgenerator per Knopfdruck in Sekundenschnelle.
Ibes (stimmloses e) Mit dem heiligen Vogel der alten Ägypter aus dem Kreuzworträtsel hat der Dörfer Ibes absolut nichts gemeinsam, auch mit dem Schneeleopard (Irbis) ist er nicht verwandt. Ein Lebewesen ist er aber trotzdem, und zwar ein besonders bei den Bauern verhasstes Geschöpf: Der Marder und seine Sippe, der Iltis beispielsweise oder das Wiesel. Bei uns daheim wurde seltsamerweise auch die Zauneidechse Ibes genannt. Manchmal fanden wir morgens leere Eierschalen, schlimmstenfalls auch massenhaft Hühnerfedern im Stall und Ohm Mattes wetterte: Do wor doch ad wier dr Ibes em Stall (Da war doch schon wieder der Marder im Stall). Der Eierdieb und Hühnermörder verstand es, sich unter dem Verschlussbrett am Hohnerlauch (Durchschlupf in der Stalltür, siehe Hohnerlauch) durch zu zwängen. Das wurde ihm eines Tages zum Verhängnis: Das senkrechte Brett hatte sich in der Führung verhakt und den Eindringling am Boden fest geklemmt. Ohm Mattes fand ihn und hat ihn erschlagen. Mancher Autobesitzer hat schon Ärger durch den Ibes hinnehmen müssen, weil der die Kabel angeknabbert hatte. Irgendwo in unserer Nähe auf dem Kippelberg „wohnt“ seit zwei Jahren ein Ibes, er besucht jede Nacht die Kompostgrube in unserem Garten, im Schnee sind seine Spuren von und nach der Woltersgasse sichtbar. In 1943/44 besuchten wir Nonnenbacher Kinder die Schule in Blankenheimerdorf. Ein Schüler aus der dortigen „Oberklasse“ wurde wild, wenn ihn die Kameraden Ibes oder „Keiler“ titulierten.
idderije Wird regional auch edderije (weiches e) gesprochen. Das Wort war in der Landwirtschaft gebräuchlich und bezeichnete das Wiederkäuen etwa der Kühe. Der Begriff ist vermutlich vom lateinischen Wort „iterum“ (wieder, wiederum) abgeleitet. Intensives Idderije war wichtig für das Wohlbefinden der Tiere. Wenn beispielsweise eine Kuh zu hastig gefressen hatte, war ihr Bauch nicht selten opjeloufe (wörtlich: aufgelaufen, = aufgebläht) das Tier hatte Schmerzen. In leichteren Fällen behalf sich die Natur selbst durch deutlich vernehmbaren „Luftabzug,“ und Ohm Mattes stellte zufrieden fest: Et hät joot jejange, Schwitt oß wier am idderije. Als Kind war es mir immer unbegreiflich, dass unsere Gespannkühe bei jeder kleinen Arbeitspause zu kauen begannen, obwohl sie kein Futter vorgelegt bekamen. Das war beispielsweise beim Heu einfahren der Fall, wenn der Wagen zum Beladen jeweils einige Minuten anhalten musste. Erst in der Schule erfuhren wir, dass idderije für die Tiere lebensnotwendig sei und warum das so ist. Hier hörten wir auch zum ersten Mal das hochdeutsche Wort „Wiederkäuen.“ Daheim war, neben idderije, allenfalls noch köije (kauen) gebräuchlich.
I-Dötzje Diese Bezeichnung für den Schulanfänger ist heute noch gebräuchlich, sie stammt aus der Zeit der Sütterlin-Schrift, die 1942 in den Schulen durch die lateinische Schrift abgelöst wurde. Ich selber habe im ersten Schuljahr noch Sütterlin gelernt. Eine Person von kleiner Statur nannte man früher Dotz oder Knubbel, kleine Kinder waren ganz allgemein Dötzjer oder Knübbelcher. Als ersten Buchstaben lernte man in der Schule das kleine i, das I-Dötzchen stand also körperlich und geistig am Anfang seiner Entwicklung (siehe i-a-Köttela). Aufwendige Festlichkeiten zur Einschulung gab es bei uns nicht, Schultüten oder sonstige Geschenke kannten wir nicht, dafür hatten auch unsere Eltern kein Geld. Mein erster Schultag nach den Sommerferien 1941 war beinahe ein Tag wie jeder andere: Meine beiden „großen“ Schwestern nahmen mich mit zur Schule, Lehrer Gottschalk hielt eine kleine Ansprache und teilte uns die Plätze in der ersten Bank zu, das war´s. Mit ganzen vier I-Dötzchen bildeten wir das erste Schuljahr 1941/42 in Nonnenbach: Die Vettern Karl Rütz und Albert Schlemmer sowie meine Wenigkeit aus Schlemmershof, und Agnes („Aggi“) Schnichels aus Nonnenbach. Albert verunglückte am 11. Juli 1959, er wurde nur 24 Jahre alt.
iëder Das Wort wird mit einer deutlichen Trennung zwischen i und e ausgesprochen: „i-e-der“ und bedeutet „eher.“ Inzwischen hat sich mehr der Begriff „iher“ eingebürgert, regional ist auch „iëter“ oder „ehder“ gebräuchlich. Ein geflügeltes Wort ist je iëder, deste besser (je eher, desto besser). Eine traurige Feststellung, die sich aber gar nicht so selten als berechtigt erweist, ist die Behauptung: Iëder zöch en Moder sebbe Pänz jrueß, als dat sebbe Pänz een Moder versörje (Eher zieht eine Mutter sieben Kinder groß, als dass sieben Kinder eine Mutter versorgen). Den berühmten Bibelspruch vom Kamel und dem Nadelöhr zitieren wir ungefähr folgendermaßen: Iëder jeht e Kamel durch e Nähnodelslauch, eh dat ene Jeldsack en dr Himmel kött. Beim Mittagessen kam Unbeliebtes auf den Kinderteller, der absolut nicht leer werden wollte, und Jött konstatierte nachdrücklich: Et wiëd net iëder vam Desch opjestanne bos dä Teller leddich os (Du bleibst am Tisch, bis der Teller leer ist). Ich wurde mit einer Arbeit in Vaters Werkstatt beauftragt, um mich anzuspornen, erklärte Pap (Vater): Nu maach jät vüeraan, je iëder de fäedich bos, desto iëder häßte Fieroovend (je früher fertig, desto früher Feierabend). Beim Eisbahnschlittern ging es ziemlich wild zu und Mam mahnte: Ihr hatt iëder kejn Rouh bos ejner fällt, kaum gesagt, lag ich schon auf der Nase.
Iefer Der Eifel ist eine Eigenschaft, die sowohl im positiven als auch im weniger guten Sinne zur Geltung kommen kann. Wenn beispielsweise jemand sich intensiv oder sogar leidenschaftlich einer Aufgabe widmet, dann ist er mot Iefer bie dr Saach (mit Eifer bei der Sache). Der neue Lehrling erwies sich als überaus lernbegierig und der Polier lobte ihn beim Chef: Dat os e onjewöhnlich iefrich Kerlche, wennse blos all esu wäre. Von einem jährzornigen Menschen, der leicht in Wut gerät und tobt, sagt man: Dä iefert sech noch de Jall en et Bloot (Der eifert sich noch die Galle ins Blut = Dem läuft noch die Galle über), und wem die Zornesröte ins Gesicht steigt, der ist ruëd vür Iefer (wörtlich = rot vor Eifer). Wer vor Wut außer sich gerät, der hät ene Iefer, datte sech net mieh kennt (hat einen Eifer, dass er sich nicht mehr kennt). Dä os esu iefrich wie en Seckoomes (…wie eine Ameise) beschreibt einen besonders fleißigen oder strebsamen Menschen. Das geflügelt Wort „Blinder Eifer schadet nur“ ließe sich in Dörfer Platt mit Dat häßte jetz van dengem Iefer (Das hast du jetzt von deinem Eifer = das kommt davon) umschreiben. Die „Eifersucht“ müsste bei uns eigentlich Iefersucht heißen, tatsächlich aber bleiben wir mit Eifersuch fast völlig beim Standardwort.
Iehl Nu maach doch ens vüeraan (Nun mach doch voran) drängte Mattes zur Eile, und Drinche wehrte sich empört: Wat häßte blos für en Iehl am Liev (Was hast du blos für eine Eile am Leib). Iehl mot Wiehl ist die Eifeler Version des bekannten Sprichworts „Eile mit Weile,“ der römische Kaiser Augustus, so lernten wir im Lateinunterricht, machte daraus „festina lente“ (wörtlich = eile langsam), und doon höësch (mach langsam) drückt es der Blangemerdörfer aus. Wer den Pitterzaudech am Liev hat (siehe: Pitterzaudech), dem passiert es häufig, dass er janz iehlich op et Hüüsje (sehr eilig auf die Toilette) muss, und dieser Zustand ist unter anderem auch als iehlije Jang (eiliger Gang) gefürchtet. Beim Einsammeln der „Maieier“ sagen die Dörfer Burschen ihr Sprüchlein auf: Doot ihr öch net bëiehle, dohn mir de Düer opfiele (beeilt euch oder wir feilen die Tür auf). Häufig wird allerdings bëiehle durch das gängigere zaue ersetzt (siehe: zaue), Beispiel: Zau dech jät (beeile dich). Wenn in einer Angelegenheit keine Eile geboten ist, sagen wir dat hät kejn Iehl oder auch dat iehlt net. Wer sehr in Eile ist, der stolpert manchmal unbeholfen und muß sich sagen lassen: Vüer lutter Iehl fälls du noch öwwer deng eijene Fööß, er fällt also vor lauter Hast über die eigenen Füße. In manchen Fällen wird auch in unserem Dialekt das hochdeutsche „Eil“ beibehalten und nicht etwa in Iehl umgewandelt: Eilzug (Eilzoch), Eilbrief (Eilbreef), Eilgut (Eiljut),
Ies Der Engländer sagt „ice,“ der Holländer „ijs,“ der Deutsche „Eis“ und der Eifeler kennt das Ganze als Ies. Gletscher, Polareis, - Eis ist lebensnotwendig für uns. Eissturm, Hagel, - Eis kann unser Leben bedrohen. Am 22. Juli 1950 ging beispielsweise über Blankenheimerdorf bis hin nach Tondorf ein Hagelunwetter in nie gekannter Stärke nieder. Die gesamte Ernte einschließlich der Kartoffeln und Rüben war vernichtet und tausende Fensterscheiben und Dachziegel im Dorf zertrümmert. Unsere Kuh, die schutzlos auf der Weide an der Lohmannseiche stand, wurde beinahe von faustgroßen Hagelbrocken erschlagen. Eistorte, Speiseeis, - Eis kann unser Leben verschönern und angenehm machen. Das erste Speiseeis in unserem Bereich nach dem Krieg gab es im Lebensmittelgeschäft von Hermann Schumacher in der Blankenheimer Johannesstraße. Das Eisbällchen kostete zehn Pfennig, anfangs wurde es mangels Waffeln auf einem viereckigen Stück Pappe serviert. Wir Nonnenbacher Pänz pilgerten sonntags nach Blankenheim und kauften uns für den von Mam erbettelten Groschen ein Ies zu zehn, den Fußweg über die Hardt nahmen wir dafür gern in Kauf. Manchmal brachte Mam uns vom Einkauf ein Ies mit. Das war dann fast nur noch geschmolzene Milchbrühe, doch selbst die schleckten wir mit Wohlbehagen aus dem Glas.
Iesbahn Die Iesbahn ist keineswegs mit der Iesebahn gleichzustellen, Ies nämlich ist Eis, Iese dagegen, regional auch Ieser, bedeutet Eisen. Im und nach dem Krieg, als es keinen Streudienst gab, verwandelten sich unsere Dorfstraßen wintertags im Handumdrehen in die schönsten Eisbahnen und waren beliebter Tummelplatz für die Dorfjugend, – sehr zum Ärger der Straßenanlieger. Beliebte Iesbahnen im Dörf waren wegen ihres Gefälles die Buppeschjass, der Keppelberch mit den Abzweigen Eppejass und Woltersjass, oder auch die Hauptstraße im Bereich Flenks Berch. Bis in den späten Abend war „Betrieb“ mit Rodeln, Schlittschuhlaufen und Iesbahn schlohn (Eisbahn schlagen), beim Schein der Straßenlampen war das Vergnügen besonders groß. In Blankenheim-Wald trat oft im Herbst die Urft über die Ufer, an der Altenburger Straße gab es im Winter eine Eisfläche, auf der wir „Eishockey“ spielten. Unser Puck war eine zerbeulte Konservendose, die Schläger waren Astgabeln mit einem langen Ende. Gelegentlich donnerte der Puck schmerzhaft gegen ein ungeschütztes Schienbein. Das gehörte aber dazu und wurde kaum beachtet. Während wir uns auf unserer Iesbahn vergnügten, donnerte nebenan die Iesebahn über die Schienen.
Iesbloome Iesbloome sind Eisblumen und die „blühten“ in unserer Kinderzeit im Winter an sämtlichen Fenstern im Eifelhaus. Die Verglasung der kleinen Rütte (Fensterscheiben) bestand aus einfachem Zwei-Millimeter-Bauglas, bei entsprechender Witterung waren die Scheiben auch drinnen frostkalt. Nachts sank die Zimmertemperatur, weil nicht mehr jestauch wurde, die Luftfeuchtigkeit gefror an den Fensterscheiben, an denen sich über Nacht die prachtvollsten Eisblumen bildeten, - Zauberbilder, wie sie nur die Natur zustande bringt. Wir Kinder bestaunten das Ieswunder, das leider mit dem erneuten Anheizen des Ofens allmählich verschwand und in dicken Tropfen in die Kall (Rinne) am Wasserschenkel des Fensters floss. Oft waren die Iesbloome millimeterdick, wir mussten intensiv und anhaltend dagegen hauchen, um das Eis zum Schmelzen zu bringen und hinaus schauen zu können. In unserem Schul-Lesebuch aus dem Jahr 1942 gab es die Geschichte „Ein Guckloch in der Scheibe“ von Heinrich Scharrelmann, der ein Pädagoge und Schriftsteller aus Bremen war und sehr viele Beiträge für die Lesebücher geschrieben hat.
iësch (stimmloses e) Das landläufige Wort für „erst“ in allen möglichen Abwandlungen und Verbindungen. Das e wird deutlich separat ausgesprochen: i-e-sch. Iësch wiëd dr Teller leddich jejeiße (Erst wird der Teller leer gegessen) war die Regel, bevor wir vom Tisch aufstanden, und zeïësch kött Pap (zuerst kommt Vater) war eine Regel bei der Zuteilung der Fleischportionen am Mittagstisch. Der Erste eines Monats war dr Iëschte und beim Auszählen im Kinderkreis wollte Jüppche stets Iëschter (Erster) sein. Iëschjrad koom dat em Radio bedeutete, dass dies oder jenes gerade erst im Radio zu hören war. In diesem Zusammenhang war oft auch iëschte gebräuchlich, was aber mehr oder weniger „soeben, vor kurzem“ bedeutete. Gelegentlich stand iësch auch als Bekräftigung oder Markierung: Loß mech dä iësch ens en de Fongere kreje (Lass mich den erst mal in die Finger kriegen). Als Kind hatte man ständig Hunger, und wenn ich in kürzeren Abständen bei Jött um ein Stöck oder eine Schnedd (beides = Butterbrot) betteln kam, wurde sie manchmal unwillig: Ad wier e Stöck! Du häß doch iësch vüer ener halever Stond ejnt krijje (Schon wieder ein Butterbrot! Du hast doch erst vor einer halben Stunde eins bekommen).
iëschtens Unser iëschtens bedeutet „erstens,“ man könnte es als „Umstandwort (Adverb) der Reihenfolge“ bezeichnen, wenn es denn diesen Begriff in der Sprachlehre gäbe. Iëschtens kött et annesch, zweitens wie mr denk lautet die Dialektübersetzung des bekannten Scherzwortes, das Wilhelm Busch zugeordnet wird, der es aber bei „Plisch und Plum“ ein wenig anders formuliert hat: „Aber hier, wie überhaupt, kommt es anders als man glaubt.“ Wenn ich in meiner Kinderzeit mit unliebsamen Fragen ankam, beispielsweise Waröm moß os Schwitt bie dr Stier (Warum muß unsere Kuh zum Stier), reagierten Mam oder Jött erstaunlich heftig und ärgerlich: Iëschtens jeht dat dech nix aan, on zweitens kömmer dech net dröm (Erstens geht das dich nichts an, und zweitens kümmere dich nicht darum). Der Erste eines Monats ist bei uns dr Iëschte, auch der Klassenbeste in der Schule ist dr Iëschte. Der Egoist handelt nach dem „fiesen“ Grundsatz: Iëschtens kommen ech, dann kommen ech noch epaarmool, on dann köß du noch lang net. In einer Eifeler Gaststätte beschwerte sich ein Gast über eine Fliege in seiner Frühstücksbutter, wurde aber von der Bedienung zurechtgewiesen: Iëschtens os dat kejn Fleech sondern en Seckoomes, on zweitens os dat kejn Botter, sondern Marjarin. Der Gast war also nicht in der Lage, zwischen Fliege und Ameise zu unterscheiden und Butter von Margarine zu trennen.
Iese Das „Dörfer“ Wort für Eisen. Sehr verbreitet und auch im Kölner Raum üblich ist „Ieser,“ bei uns wird unterdessen das r „verschluckt,“ weil Wortverbindungen dann leichter auszusprechen sind: Iesebahn, Iesestang. Bei uns gibt es den Flurbereich op dr Iesekuhl (auf der Eisenkaul), Ieserkuhl wäre für den Blangemerdörfer schon beinahe ein Zungenbrecher. Eine Ausnahme wird bei der Anwendung von „eisern“ gemacht, et iesere Krüz (das eiserne Kreuz) beispielsweise. Und auch hier heißt es eher noch et ieserne Krüz oder einfach et Iesekrüz. Bei uns ist Ieser die Mehrzahl von Iese: Die Hoofieser (= Plural von Hufeisen), die Büjelieser (Bügeleisen), die Breichieser (Brecheisen, Brechstangen). Ein besonderes Iese ist das Kroggiese. Es ist mit krogge (Unkraut jäten) verwandt und bezeichnet das für diese Tätigkeit erforderliche Werkzeug: Eine kleine Gartenhacke. Ein Kroggiese kann unterdessen auch eine im Eifeldorf unbeliebte zänkische Frau sein, der man regional gelegentlich den Titel Kruëniese anhängt. Ganz allgemein ist ein zänkischer, unverträglicher Mensch ein Zänkiese (Zankeisen). Der Feuerhaken ist ein Stauchiese, der Dreifuß (Nageleisen) des Schusters ist ein Schohiese (Schuheisen), der eiserne Verschleißschutz an der Schuhsohlenspitze war das Stößiese (Stoßeisen), und der Schrotthändler ist bei uns dr Iesekrämer.
Iesebähner Die Eisenbahn war früher und ist auch heute noch für den Eifeler de Iesebahn und der bei diesem Unternehmen Beschäftigte ist eben der Iesebähner. Eine scherzhafte Worterweiterung lautet Iesebahnsbähner, die Bahnbediensteten in der Gesamtheit sind Bahnemänn. Die Bahn war zur Zeit unserer Eltern und Großeltern ein bedeutender Arbeitgeber, gab es doch in der Eifel nur wenige Verdienstmöglichkeiten. Nicht selten war ein Drittel der männlichen Dorfbewohner Iesebähner, beispielsweise in Blankenheimerdorf oder Dahlem. Ich selber begann im Jahr 1953 meine Ausbildung als Assistentenanwärter bei der Bundesbahn. Damals stellte die Bahn erstmalig Gymnasiasten mit der Mittleren Reife als Anwärter für die mittlere Beamtenlaufbahn ein. Ein Kollege aus Eitorf (Sieg) und ich, wir waren die ersten Bewerber dieser Art im Bereich der Bundesbahndirektion Köln, sozusagen deren „Versuchskaninchen“ oder meinetwegen auch „Paradepferde.“ Wir wurden eigens zum obersten Boss des damaligen Bundesbahnverkehrsamtes Bonn zitiert und mussten uns einer Reihe von Fragen stellen. In der Aufbauzeit nach dem Krieg verdiente man bei der DB nicht gerade üppig, ein Bundesbahnassistentenanwärter (BAssAnw) bezog beispielsweise während der zweijährigen Ausbildungszeit monatlich 150 DM Unterhaltszuschuss. Manche Kollegen wechselten von der Bahn zum Bau oder zur Industrie, wo es wesentlich mehr zu „holen“ gab. Dafür habe ich mir nicht eine Sekunde lang Sorgen um Arbeitsplatz und Einkommen machen müssen.
Iesedrooht (hartes o) Der Eisendraht in verschiedenen Stärken war früher im Eifelhaus ein Alltagsutensil. Iesedrooht war unentbehrlich bei kleinen und großen Reparaturen aller Art, sei es ein lädiertes Schubkarrenrad, ein angeknackstes Brett am Wagenboden oder die wann (locker, ausgeleiert) gewordene Gartentür. Eine besondere Bedeutung kam dem etwa millimeterdicken Beißemsdroht zu, von dem in jedem Haus eine dünne Rolle vorrätig gehalten wurde und der als „Besendraht“ auch im Handel erhältlich war. Beißemsdroht wurde zum Binden der Reisigbesen gebraucht, die sich der Bauersmann selber herstellte. Dünnen Eisendraht verwendeten im Krieg auch die Minenleger als Stolperfallen bei der Einrichtung von Stockminenfeldern. 50 oder mehr Meter dieses Drahtes waren auf schmalen Holzbrettchen aufgewickelt, nach dem Krieg lagen sie überall herum. Der dünne Draht war in der Regel aber schon stark verrostet und zum Leidwesen der Eifeler meistens unbrauchbar. Zum Besenbinden wäre das dünne Zeug vermutlich auch nicht verwendbar gewesen. Mit Iesedroht waren auch die kugelförmigen Druckluftbehälter der Wunderwaffe „V1 Reichenberg“ umwickelt. Diese Flugbomben wurden im Wald bei Rohr abgeschossen, sollten London oder Antwerpen erreichen, stürzten aber sehr oft schon kurz nach dem Start ab und waren als Eifelschreck gefürchtet.
Iesefärv Der Name lässt die Bedeutung erkennen: Eisenfarbe für den Anstrich von Metall, von der es drei Sorten gab. Da war einmal Die rote Mennich (Rostschutz, Blei-Mennige), die aber relativ teuer war und selten gekauft wurde. Wo eine Roststelle zu beseitigen war, behalf man sich mit Schmirgel und Droohtbüesch (Drahtbürste) und bestrich die blanke Stelle dick mit gelbem oder rotem Staufferfett. Zum anderen gab es das schwarze Pottloh (Ofenschwärze, Graphitfarbe). Das war zwar auch nicht gerade billig, man brauchte es aber regelmäßig. Mindestens einmal im Jahr nämlich, meistens vor der Kirmes, mussten der gusseiserne Ofen und dessen Pief (Ofenrohr) jepottloht werden. Die hitzebeständige Farbe war zunächst etwas stumpf, wurde aber nach der Bearbeitung mit einer weichen Bürste blank und glänzend. Der intensive Pottlohgeruch im Haus verschwand erst nach mehreren Tagen. Die dritte, uns bekannte Iesefärv war die Silberbronze, bei uns Seleverbronks genannt, die es auch goldfarben gab. Silberbronze wurde hier und da für den Anstrich des Ofenrohrs gebraucht. Das war etwas „vornehmer“ als das schwarze Pottloh, roch aber nicht weniger intensiv.
Iesekuhl Das Mundartwort Kuhl hat mit dem englischen „cool“ absolut nichts zu tun, vielmehr bedeutet es „Grube, Vertiefung“ und wird sehr häufig zur Geländebezeichnung angewandt. In Nonnenbach gibt es beispielsweise an der heutigen Kreisstraße K.70 einen Waldbereich mit der Bezeichnung „en dr Kuhl,“ und in Nettersheim heißt ein Ortsteil „op dr Kuhl.“ Im Bergbau wird oft auch die Zeche als Kuhl bezeichnet, im Aachener Kohlenrevier sagt man beispielsweise „Kull.“ Die laienhafte Übersetzung ins Hochdeutsche lautet „Kaul,“ dieses Wort gibt es unterdessen im Deutschen Wörterbuch mit der neuen Rechtschreibung (Bünting 1996) nicht, vielmehr ist „Kuhle“ als Ausdruck für eine Erdmulde aufgeführt. Die Iesekuhl ist also eine Eisengrube oder ein Eisenbergwerk und diese Flurbezeichnung gibt es in Blankenheimerdorf im Umfeld der alten Ahrbahntrasse nach Blankenheim-Wald. Im Volksmund heißt der Bereich Op dr Iesekuhl, in der Flurkarte liest man „Auf der Eisenkaul.“ Hier wurde früher im Tagebau nach Eisenerz gegraben, bis zum Bau der Bundesstraße 51n Anfang der 1980er Jahre waren noch Grabungsstellen sichtbar, sie verschwanden mit dem Bau der neuen Umgehungsstraße. Diese Gruben gaben dem Flurbereich seinen Namen.
Ieshellije (kurzes weiches e) Vom 11. bis 15. Mai ist die Zeit der Eisheiligen. Bei uns sind das Pankratius, Servatius und Bonifazius, in Norddeutschland kommt noch Mamertus hinzu, regional ist auch die „Kalte Sophie“ einbezogen. Die Eisheiligen sind eine „Singularität,“ wie die Meteorologen sagen, sie markieren sozusagen die „Frostgrenze,“ die für den Feld- und Gartenbau von Bedeutung ist und die bei unseren Eltern durchaus Beachtung fand. Ganz allgemein gilt als Faustregel: Wenn die ersten drei Eisheiligen schön sind, wenn es also an diesen Tagen nicht regnet, gibt es einen schönen und ertragreichen Herbst. Eine Bauernregel besagt: „Pankraz, Servaz, Bonifaz machen erst dem Sommer Platz.“ Ein Mundartwort sagt: Wellste secher sin vüer Fross, waat bos Söph jejangen os (sinngemäß: Erst nach Sophie, 15. Mai, friert es nicht mehr). Das ist freilich relativ zu sehen, bei uns kann es durchaus noch Anfang Juni Nachtfrost geben. Für mich selber sind die Ieshellije auch heute noch maßgebend fürs Kartoffelpflanzen, erst nach der Kalten Sophie kommen in unserem Garten de Jrompere en de Erd, auch wenn es witterungsbedingt bis Ende Mai dauern sollte.
Iëwelengche (weiches e) Das ungewöhnliche Wort bezeichnete die Nachtigall und ihren wohltönenden Gesang. Die Herkunft und ursprüngliche Bedeutung des Ausdrucks konnte ich bisher nicht ermitteln, selbst die Dorfsenioren kennen zwar den Begriff, aber nicht seinen Ursprung. Unsere Eltern brachten jedenfalls fröhliche Lieder und angenehm klingende Melodien mit der Nachtigall in Verbindung, wie das seit ewigen Zeiten auch unsere Dichter und Lyriker taten. Die songe (singen) wie de Iëwelengcher, ist auch heute noch bei uns ein anerkennender Kommentar zur Darbietung etwa des Kirchenchors. In den 1960er Jahren hatten sich in Blankenheimerdorf ein paar Hobbymusikanten zusammengetan. Sie nannten sich De Iëwelengcher und sorgten bei kleinen dörflichen Veranstaltungen für Unterhaltungsmusik. Der Lohrbach wenige Schritte von unserem Haus in Schlemmershof entfernt, war von dichtem Erlen- und Weidengebüsch gesäumt. Hier nisteten offensichtlich Nachtigallen, am späten Abend nämlich ertönte vom Lohr herauf seltsamer Vogelgesang. Mam und Jött lauschten begeistert und stellten hocherfreut fest: Et Iëwelengche sengk (singt). Ich selber fand wenig Besonderes an dem Gezwitscher außer dem Umstand, dass alle anderen Vögel um diese Zeit schon „schliefen.“
iëwich (stimmloses e wie in Tasse) Das auch heute noch übliche Wort für „ewig“, wobei die getrennte Aussprache des stimmlosen e besonders bedeutsam ist: i-e-wich. Die Tante aus Köln hatte längere Zeit nicht geschrieben und daheim beschwerte sich Jött: Os Marie hät iëwich nix van sech hüëre losse. Leo kam zu spät zum Randewu (Rendezvous) und Agathchen schmollte: Ech waade (warte) ad en halev Iëwichkejt. Eine halbe Ewigkeit auf den Geliebten warten zu müssen, war ja nun wirklich ein Grund zum Schmollen. Iëwich steht auch für „ununterbrochen, andauernd“: Dat Fritzje oß iëwich am kriesche, der kleine Fritz war also eine Heulsuse. Und weil die Sonntagspredigt ungewöhnlich ausgiebig war, ärgerte sich Nöll (Arnold) nach der Messe: Dat wor äwwer noch ens en iëwich lang Preddich. Ein zappeliger Mensch, der keine Minute still sitzen kann, ist en iëwich Onrouh (ewige Unruhe), und wer an allem und jedem etwas auszusetzen fand, war ein iëwich Knotterdöppe. Unter Dechant Hermann Lux war bei uns im Dorf alljährlich et iëwich Jebedd (das ewige Gebet, ewige Anbetung) üblich: Einen ganzen Tag lang beteten die Leute in der Kirche vor dm Allerheiligsten (ausgestellte Monstranz). Die Teilnehmer waren dabei in Gruppen entsprechend den Hausnummern aufgeteilt, jede Gruppe betete eine Stunde lang und wurde von der nächsten abgelöst. Abschluß war eine gemeinsame Andacht mit sakramentalem Segen.
ihrlich „Die Ehrlichkeit ist eine Zier“ besagt ein gutes altes Sprichwort, das vielfach auch auf die Bescheidenheit angewendet wird. Böse Zeitgenossen vervollständigen den Satz mit „doch weiter kommt man ohne ihr,“ und angesichts von Betrug und Korruption bis in hohe und höchste Kreise unserer Gesellschaft, muss man diesen „Dichtern“ beinahe beipflichten. Ihrlichkejt wurde uns Kindern von den Eltern bei jedem möglichen Anlass als höchste Tugend eingetrichtert, - was ja auch nicht verkehrt war. Ihrlich sen (ehrlich sein) hieß für uns in erster Linie bie dr Wohrhejt blieve (bei der Wahrheit bleiben), ansonsten nämlich mussten wir beim Pastor beichten: „Ich habe gelogen.“ Unehrlichkeit in Gestalt von Korruption kannten wir Pänz noch nicht. Mich haben stets einige Redewendungen gestört, ens janz ihrlich (mal ganz ehrlich) beispielsweise oder ihrlich jesood (ehrlich gesagt). Wenn nämlich da einer betont, dass er es jetzt ganz ehrlich meint, der gibt doch indirekt zu, dass er es im Allgemeinen mit der Wahrheit nicht so ganz genau nimmt. Die Geschwister Niederbacher sind eine Volksmusikgruppe aus dem kleinen Bergdorf Mühlbach in Südtirol. In ihrem „Lied für Mama“ gibt es die Textstelle zufrieden und ehrlich zu sein hat sie uns beigebracht, – Hut ab vor der Zivilcourage der vier sympathischen Geschwister: In unserer, von Lügen und Intrigen verseuchten modernen Zeit die Ehrlichkeit zu besingen, dazu gehört schon ziemlich viel Mut.
I-pünkelche Das viel zitierte „Pünktchen auf dem i“ ist das Eifeler I-pünkelche. Das Wort wird, wie auch im Hochdeutschen, als Ausdruck besonderer Achtung oder Wertschätzung gebraucht: Bos op et I-pünkelche jenau besagt, dass eine Arbeit bis ins letzte Detail akkurat ausgeführt wurde. Eine andere Form war I-tüppelche, gelegentlich auch I-tippelche. Bei der alten Sütterlinschrift war es noch ein I-strichelchen (siehe I-a-Köttela), Sütterlin wurde aber ab 1942 von der „braunen“ Regierung verboten und durch die lateinische Schrift abgelöst. Ab da gab es dann das I-pünkelche. Wenn daheim unsere Jött Meine Hausaufgaben nachschaute, so geschah das mit äußerster Genauigkeit und nicht selten ereiferte sie sich: Du häß ad wier zweimool et I-pünkelche verjeiße, - zwei fehlende I-pünktchen, das war bei Jött ein massiver Fehler, der aber bei mir ziemlich häufig vorkam. Bei anderer Gelegenheit nahm sie es manchmal nicht so genau: Beim Tapezieren war die „Bahn“ ein wenig schief aufgeklebt, das Blumenmuster passte nicht genau aneinander und ich wollte zwecks Korrektur die Bahn wieder abziehen. Diesmal erhob Jött Einspruch: Du boß wahl jeck, loß die Bahn hange, et moß net alles bos op et I-pünkelche jenau sen, dat sieht doch kee Mensch. Bei meinen Schulaufgaben war sie nicht so großzügig.
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