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15.03.2024




 

Foto: hejo@blancio.de

Herzlich willkommen in Blankenheimerdorf

Et räänt durch de Deck
Es regnete durch die Decke

Unser Haus, ortsüblich aan Muuße genannt, ist eins der ältesten Gebäude von Blankenheimerdorf, meine Eltern kauften es anfangs der 1940er Jahre. Eine Urkunde aus dem Jahr 1855 besagt, daß der damalige Besitzer, der Ackerer Joseph Maus, das Haus seinem Sohn, dem Schneider Jacob Maus, übertragen hat. Die Maus-Familie gab offensichtlich dem Anwesen den Namen „aan Muuße“. Das Haus steht im Ortsteil Kippelberg an der Dorfstraße gleichen Namens, die früher die Ortsdurchfahrt war.

Das Alter des Gebäudes ist nicht mehr feststellbar, der verstorbene Pfarrer Ewald Dümmer, von 1960 bis 1988 in Blankenheimerdorf tätig, hat aber herausgefunden, daß bereits im Jahr 1440 der „Klüppelsberger Hof“ erwähnt wird. Aus dem Klüppelberg wurde mit der Zeit der „Kippelberg“ und hier gab es, so Pfarrer Dümmer, eine Art Rastplatz für die auf der Durchgangsstraße verkehrenden Fuhrwerke. Unser Nachbarhaus Scholtesse, das vermutlich älteste Haus im Dorf, war ein Einkehrhaus mit einer Gaststätte und einem kleinen Tanzsaal. Dieser Tanzsaal, allerdings als Heuboden genutzt, war noch zur Zeit unseres Umzugs nach Blankenheimerdorf (1949) vorhanden, ich erinnere mich noch an die maroden Bodenbretter. Unser Haus war vermutlich ein Übernachtungshaus für die Reisenden. Ein weiteres Nachbarhaus ist Jasse, hier wurden die Gespanntiere untergestellt und konnten im Bedarfsfall gleich nebenan in der Schmiede beschlagen werden. Das Gebäude trägt heute noch die Bezeichnung Schmette. Unser Kippelberg war somit ein kleines „Zentrum“ von Blankenheimerdorf

Ich weiß noch, daß mein Vater nicht so ganz „glücklich“ über den Hauskauf war, handelte es sich doch um einen „alten Fachwerkkasten“. Nach dem Krieg hat er aber sofort im früheren Ochsenstall von Muuße seine Schreinerwerkstatt eingerichtet und als wir nach dem Tod von Ohm Mattes daheim ausziehen mussten, kam uns das alte Haus im Dörf sehr wohl gelegen. Im Krieg wohnte aan Muuße vorübergehend eine fremde Familie, Soldaten belegten das Haus und schließlich zog eine Familie aus Köln ein, die nach dem Krieg wieder in ihre Heimat zurückkehrte. Auch die Scheune war belegt, sie diente bis etwa 1947 als Unterkunft für die Schafherde des früheren Ortsbürgermeisters Wilhelm Pickartz. Auf der Tenne lag der festgetrampelte Schafmist buchstäblich kniehoch, wir mussten ihn mit Hacke und Schaufel entfernen. Das Haus war insgesamt ziemlich in Unstand geraten, eine Menge Arbeit war erforderlich, um es halbwegs bezugsfertig zu machen.

Sehr reparaturbedürftig war an erster Stelle das Dach. Der gesamte Dachstuhl war morsch, die Käffere (Sparren) drohten zu brechen. Im Gebälk war im Sinne des Wortes ganz massiv „der Wurm drin“, bei absoluter Stille hörte man den Schädling tatsächlich nagen. Eifeler Eichengebälk sollte eigentlich nicht kleinzukriegen sein, in unserem Fall hatten aber über Jahrhunderte hinweg Regen und Schnee ihr Werk getan. Im Winter hätte man auf unserem Speicherboden rodeln können, nicht selten lag der Schnee 10 Zentimeter und höher auf den Brettern und ich wurde mit Dreckschöpp (Kehrblech) und Stöüwer (Handfeger) zum Schniescheppe (Schneeschaufeln) auf den Dachboden beordert. Das klingt unglaubhaft, ist aber Tatsache und war damals in den alten Eifelhäusern keine Seltenheit.

Die Bodenbretter waren derart morsch und brüchig geworden, daß nur noch der „Ortskundige“ sich relativ gefahrlos darauf bewegen konnte. Der Schornsteinfeger verweigerte eines Tages jede weitere Kaminreinigung vom Dachboden aus, wenn nicht ein neuer Fußboden verlegt werde. Wie jeder von uns, so war auch der „Schwarze Mann“ wiederholt mit dem Fuß „eingebrochen“ und hatte Glück, daß er nicht durch die Lehmdecke ins darunter befindliche Schlafzimmer geriet. Wir haben für ihn damals einen „Laufsteg“ von der Treppe zum Kamin angelegt. Der Speicherboden insgesamt wurde erst Jahre später erneuert, aus Finanzgründen.

Schottelspanne

Unser Haus war mit jenen Ur-Dachziegeln gedeckt, die der Eifeler Schottelspanne (Schüsselpfannen) nennt und die im Fachhandel heute noch als „ungefalzte Hohlpfannen“ geführt werden. freilich in moderner Form. Es gab aus Ton gebrannte Schottelspanne und daneben Zementpfannen, die zur Zeit unserer Großeltern noch häufig in der Eifel hergestellt wurden. Nach dem zweiten Weltkrieg, als der Bedarf an Dachziegeln groß war, entstanden vorübergehend noch einmal  zahlreiche Pannefabriken. Die Tonpfannen waren leicht an Gewicht, aber auch leicht zerbrechlich. Die Zementpfannen dagegen wogen dreimal so viel, hielten aber auch entsprechend stärkerer Belastung stand. Das hat sich bei uns einmal ausgezahlt.

Haus Muuße um 1920. Aus dem Lot geratene Fachwerkwände waren früher keine Seltenheit. Repro : Archiv DGKV
Am 22. Juli 1950 ging über Blankenheimerdorf ein Hagelunwetter nieder, wie es noch niemand im Dorf erlebt hatte und wie es bis heute auch nicht mehr vorgekommen ist. Zahllose Dachpfannen und Fensterscheiben gingen an diesem Samstagnachmittag zu Bruch, kaum ein Haus blieb verschont. In Vaters Schreinerwerkstatt wurden Tag und Nacht Eifeler Rutte (Fensterscheiben) repariert, in Scharen schleppten die Leute ihre ausgehängten Fensterflügel zu uns auf den Kippelberg, unsere Glasfirma aus Bonn schickte am nächsten Tag – einem Sonntag! – eine Eilsendung Bauglas und zwei Zentnerkübel Fensterkitt ins „Katastrophengebiet“. Eine ganze Woche lang habe ich mit Vater Schiewe ensetze (Scheiben einsetzen) müssen, oft auch vor Ort in den Häusern, weil nicht immer der Fensterflügel auszuhängen war, etwa bei Stallfenstern. Seit diesem Unwetter sind mir Fensterglas und Leinölkitt verhasst.

Bei uns selber war einzig ein unbedeutendes Scheibchen im Speicherfenster zu Bruch gegangen. Unser Schuppen, in dem Vater sein Schreinerholz verwahrte, war mit Tonpfannen gedeckt und hier hatte der Hagel empfindlich gehaust. Von den schweren Zementpfannen auf dem Hausdach dagegen war nicht eine einzige beschädigt worden. Diese massiven und oft unförmigen Schottele waren nur durch einen wuchtigen Schlag zu zerbrechen, sie hielten beispielsweise spielend den Wurf vom Dachrand herab auf den lockeren Gartenboden aus.

Das Eifeldach besaß damals keine Bretterschalung, die Dachlatten waren auf die nackten Sparren genagelt. Die muldenförmigen Schottele wurden mit Drahtklammern an den Latten und untereinander befestigt, sie besaßen lediglich eine halbrunde Überlappung, einen Falz gab es nicht und damit auch keine annehmbare Dichtigkeit. Für notdürftige Abdichtung sorgten tausende kleiner Strohbündel, die der Pfannenlänge angepasst waren und in den Hohlraum der Überlappung gesteckt wurden. Diese Strühpoppe (Strohpuppen) hielten eine gewisse Zeit, nach Jahr und Tag aber verrotteten sie, der Winterwind blies durch die Ritzen zwischen den Pfannen und wehte massenweise Schnee auf den Spicherboddem (Speicherboden). Als unser Dach abgedeckt wurde, fielen Unmengen solcher modriger Strohpüppchen und verrosteter Drahtklammern zu Boden. Die Anfertigung solchen Zubehörs von Hand allein für ein einziges Dach hat sicherlich Wochen gedauert.

Irgendwann Mitte der 1950er Jahre wurden Dachstuhl und Dach erneuert. Jahrelang hatten die Eltern jeden Groschen gespart, bis endlich die Reparaturkosten beieinander waren. Die Brüder Heinrich und Paul Kastenholz, zwei gestandene Dörfer Zimmerleute, hatten einen kompletten neuen Dachstuhl gebaut, der jetzt aufgestellt werden sollte. Irgendeine Wetterstation wurde befragt und sagte für die nächsten Tage Schönwetter voraus. Also wurde im Zuge des ersten Bauabschnitts zunächst das Wohnhaus abgedeckt, das Gebälk entfernt und alles für den morgigen Neuaufbau hergerichtet. Nachbarschaftshilfe war damals selbstverständlich, da mußte nicht erst gefragt werden. Der halbe Kippelberg war zur Stelle als es galt, bei uns et Daach affzedecke. Wo Hilfe gebraucht wurde, war sie da, freiwillig und kostenlos.

Unliebsames Erwachen

Kein Dach mehr über dem Kopf, über uns nur noch die dünne Zimmerdecke, stiegen wir abends mit etwas gemischten Gefühlen ins Bett. Es war noch nicht ganz hell am nächsten Morgen, als Vater an meinem Schlaflager erschien: Stand op, et os am rääne, mir mössen affdecke“. Erst da merkte ich, daß meine Füße geradezu in der Nässe steckten: Der Regen tropfte durch die Zimmerdecke, mein Bett war bereits zur Hälfte durchnässt. Es war morgens so etwa gegen vier Uhr. Affdecke (abdecken) bedeutete in diesem Fall das genaue Gegenteil vom vorangegangenen „Daach affdecke“, hier hieß es, möglichst rasch einen provisorischen Regenschutz für unser dachloses Wohnhaus herzustellen.

Im strömenden Regen schleppten wir Drei – Mutter war inzwischen hinzu gekommen – mit vereinten Kräften Balken und Latten, Tischler-, Span- und Sperrholzplatten aus der Werkstatt auf den Dachboden, dessen Bretter durch die Nässe besonders meusch (mürbe) geworden waren. Alles Material mußte über die Leiter hochgewuchtet werden, weil die Speichertür für die großen Platten zu klein war. Und das alles  im unendlichen Regen, der uns nach wenigen Minuten „bis auf die Knochen“ durchnässte. Unsere Stimmung war nicht gerade die freundlichste, immerhin aber verpassten wir unserem nackten Wohnhaus ein Behelfsdach, das wenigstens das gröbste Wasser ableitete, auch wenn es absolut nicht regendicht war.

Es war so gegen sechs Uhr, als der letzte Nagel eingeschlagen war und wir ein wenig aufzuatmen trachteten. Da ging der Regen plötzlich in Fissele (Nieseln) über, hörte völlig auf und nach fünf Minuten kam prächtig strahlend die Morgensonne hinter den Gewitterwolken hervor. Nie zuvor und auch nie wieder danach, habe ich Vossen-Hein (meinen Vater) derart wüst fluchen gehört, an diesem Morgen ging man ihm tunlichst üß de Fööß (aus dem Weg). Alles Fluchen half aber nicht, umgehend bauten wir unser Behelfsdach wieder ab und schleppten alles nach unten, für sieben Uhr nämlich hatten sich die Zimmerleute angesagt. Sie waren pünktlich da und gegen Abend „stand“ der vorgefertigte neue Dachstuhl. Die Kaastenholz-Männ verstanden ihr Handwerk, auch ohne die heute unentbehrliche Motorsäge. Wenn zum Feierabend noch wichtige Arbeit anstand, so wurde sie getan, auch wenn der Arbeitstag dadurch 12 Stunden und länger dauerte. Am nächsten Abend war bereits die Bretterverschalung fertig und die Teerpappe aufgetragen. Jetzt hätte es schon mal regnen dürfen. Es regnete aber nicht mehr.

Zweimal Glück gehabt

Die zweite Dachdeckphase umfasste den Stall- und Scheunentrakt, in dessen unterem Teil  die Schreinerwerkstatt eingerichtet war. Obenauf lag noch massenhaft Heu: Wir hielten damals eine Kuh, unsere schwarzbunte Lona. Das Heu bewahrte mich vor großem Unheil.

Da nämlich trachtete ich im Zuge der Abbrucharbeiten am alten Gebälk, ein gut meterlanges Stück Firstbalken zu demontieren, das schief und locker in den Nägeln hing. Ob der Belastung brach die halbfaule Dachlatte, auf der ich stand. Ich fiel vier Meter tief aufs weiche Heu und tat mir nicht den geringsten Schaden. Instinktiv hatte ich mich am Firstholz zu halten versucht. Das Eichenstück riss los und fiel hinter mir her. Eine Handbreit neben meinem Kopf ragte drohend ein rostiger Zehnzöller (starker Nagel) aus dem Heu. Der gewichtige Eichenbalken hatte mir nicht den Schädel zertrümmert, der Nagel ging weit genug an meinem Kopf vorbei, – Zufall? Oder hat mir da ein Unsichtbarer geholfen? Ich behaupte: Ja. Einige Zeit später hat er mir noch einmal geholfen.

Haus Muuße 1927. Das Haus war damals im Besitz der Familie Karl Breuer. Repro: Archiv DGKVDer Wohntrakt unseres Hauses war, wie beschrieben, vom Regen durchnässt worden. Als Folge davon wurden die Lehmdecken unserer Schlafzimmer nach und nach brüchig und mussten erneuert werden. Einzig die Decke meiner damaligen Junggesellenbude hatte offensichtlich standgehalten. Das schien aber nur so. Irgendwann wachte ich mitten in der Nacht auf, wie von Geisterstimmen geweckt. Ein ungewöhnliches Knistern ließ mich im Bett hochfahren. Feuer? Der Lichtschalter befand sich neben der Tür, um ihn zu erreichen, mußte ich aus dem Bett und quer durchs Zimmer. Das war wieder einmal meine Rettung. Ich knipste die Lampe an und sah gerade noch, wie sich über meinem Bett in der Decke ein Riss bildete, der sich innerhalb weniger Sekunden vergrößerte. Ehe ich begriff, was da vor sich ging, lag die gewichtige Lehmdecke auf meinem Bett, das Zimmer war voller Staub.

Ich stand wie erstarrt. Die Lehmbrocken hätten mich möglicherweise erschlagen können, zumindest hätten sie mich schwer verletzt. Das Knistern, das mich offensichtlich geweckt hatte und das mich aus dem Bett trieb, rührte von herab rieselnden Lehmkörnchen, die auf dem Balatum-Bodenbelag trommelten. Die Decke war nicht unmittelbar nach der Rissbildung eingestürzt, sie hatte damit „gewartet“, bis ich am Lichtschalter war. Zufall? Wohl kaum.

Und heute

Vor wenigen Jahren gab es bei uns wieder eine umfangreiche Dachreparatur. Seinerzeit waren aus Kostengründen die alten Schottelspanne wieder verwendet worden, ohne Strühpoppe, weil die Schalung mit Teerpappe abgedichtet war. Diese Pappe, ohnehin mehr oder weniger „gediegene“ Nachkriegsware, hatte in dem halben Jahrhundert ihres Daseins arg gelitten. Unser Dach erhielt jetzt eine zeitgemäße Foliendichtung und moderne neue Falzziegel. Die mehr als hundertjährigen „Zement-Schottele“ hatten endgültig ausgedient, ein Teil von ihnen erfüllte aber auch jetzt noch einen brauchbaren Zweck. Da erschien nämlich ein LKW mit Bonner Kennzeichen, fünf oder sechs junge Männer stiegen aus, bildeten eine „Kette“ und ein halbes Stündchen später war ein ansehnliches Stück von unserem Dach abgedeckt. Auf der Ladefläche stapelten sich fein säuberlich die Schottele: Wurfmaterial für eine Hielich (Polterabend) im Raum Bonn. Den Tip erhielten die Bonner Junggesellen von unserer Dachdeckerfirma.

Haus Muuße 2005. Foto: Hejo MiesSo sehr wir uns auch über das saubere neue Dach freuen, – etliche frühere „Mitbewohner“ finden es gar nicht so lustig, daß ihnen buchstäblich „das Dach über dem Kopf abgerissen“ wurde. Das sind die Spatzen, landläufig Mösche genannt, die unter unseren alten Schottelspanne reihenweise ihre Nester bauten. Früher wurden die Möschenester bei jeder Gelegenheit zerstört, und wenn sich darin etwa noch das Gelege oder sogar Jungvögel befanden, war die brutale „Jagd“ besonders erfolgreich. Man verfolgte die Spatzen, weil Sämereien aus Feld und Garten zu ihrer Nahrung zählen und weil sie ob ihres Staubbadens als „Dreckspatzen“ verschrien sind. Moderne Hausdächer nehmen den Spatzen ihren Lebensraum, auch bei uns gibt es ihrer längst nicht mehr so viele wie vor zehn Jahren. Im hohlen hölzernen Dachgesims nisten auch heute noch einige Spatzenpaare, wenigstens diese Wohnungen sollen ihnen erhalten bleiben. Der Haussperling war übrigens Vogel des Jahres 2002.

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